Da sind sie wieder: Nach 17 Jahren kehren The Who nach Berlin zurück. Bereits 2006 sollten sie in der Waldbühne spielen, doch damals wurde das Konzert in den Treptower Park verlegt, in dem es viel zu heiß war. Eine „shit Hall“, wie es Townshend damals sagte. Damals war das Konzert ein besonderes, dieses Mal ist es nicht weniger bemerkenswert. Townshend, Daltrey und ihre Band sind voller Spielfreude, gut gelaunt und bieten eine 125 minütige Show aus 22 Songs, die kaum Wünsche offen lässt (außer natürlich, dass einmal mehr Naked Eye fehlte). Doch ganz ehrlich: Es ist egal, was The Who spielen, Hauptsache sie spielen. Es immer ein Erlebnis, auch an diesem Abend.
Begleitet werden The Who jeden Abend von einem anderen Orchester. In Berlin ist es das Filmorchester Babelsberg. Das funktioniert prächtig, der Sound ist fast perfekt, es stimmt alles. Dass The Who das Setlist ändern, lässt sich schon beim Soundcheck erahnen, denn die Band probt samt Orchester Acid Queen. Und in der Tat: Der Song kommt als siebter aus Tommy hinzu. Eine gute Wahl.
Mit Tommy geht es pünktlich gegen 19:30 Uhr auch los. Overture eröffnet das Konzert, nachdem Townshend festgestellt hat, dass der Regen des Vormittags gegangen sei. Die Bühne ist schlicht, kein Schnickschnack, nur die Musiker und ihre Instrumente stehen im Mittelpunkt. Sehr dezent und sehr sehenswert. Das Orchester zwingt Tommy allerdings in ein Konzept, das wirklich gut klingt und die Musik auch anders präsentiert, es schränkt aber gerade Townshend ein. Dies wird vor allem bei Amazing Journey und Sparks deutlich. Hier kann Townshend seine Brillianz nicht richtig entfalten, er spielt zurückhaltend. Sparks klingt zwar gut, aber es fehlt das Wilde, das Unberechenbare, das Sparks live immer zu einem Erlebnis macht. Dennoch ist das Orchester eine Bereicherung, da man die Stücke Songs ganz anders präsentiert bekommt. Neu im Set – wie erwähnt – The Acid Queen, wie immer gesungen von Pete. Dafür fällt später Ball and Chain weg, der einzige Song aus dem bisher letzten Album WHO – ein echter Verlust, denn Ball and Chain hat Klasse.
Ansonsten ist das Set routiniert ausgewählt. Natürlich möchte jeder sein Lieblingsstück hören, aber The Who können in zwei Stunden eh nicht alles spielen. Am besten ist die Band immer dann, wenn sie ohne die Zwänge des Orchesters unterwegs ist. Die sieben Songs im Mittelteil sind alle phantastisch. Voller Spielfreude, auch wenn sie nicht so rauh und wild wie früher klingen. Aber sie sind grandios wie zu alten Zeiten. Die große Überraschung des Abends ist Tattoo, das nur noch sehr selten im Set der Band ist. Townshend witzelt über Tattöwierungen, fragt per Handzeichen, wer alles ein Tattoo habe und stellt lachend fest, dass es vier seien und allesamt Frauen. Zum Abschluss dieses Teils gibt es Won’t Get Fooled Again, ganz sicher ein Höhepunkt des Abends samt Daltreys Schrei. Text, Musik, Präsentaion – Won’t Get Fooled Again wird immer einer der großartigsten Rocksongs der Geschichte sein. Behind Blue Eyes ist als Brücke zwischen Band- und Orchesterteil gedacht. Katie Jacoby und Audrey Snyder kommen auf die Bühne, fast alle sitzen. Es ist ruhig, gesittet, ernst. Es fehlt dieser Version aber leider fast alles, was das Stück so einzigartig macht. Doch auch diese 4 Minuten, die mit Abstand die schwächsten des Abends sind, gehen vorbei.
Zum Abschluss gibt es fünf Mal Quadrophenia inklusive 5.15, bei dem die Band so richtig abrockt. Love Reign O’er Me mit einem dieses Mal nicht so gelungenem Intro von Loren Gold zeigen einmal mehr Daltreys stimmliche Vielfalt. Er klingt unfassbar, trifft die Töne sicher. Es scheint, als werde er mit zunehmendem Alter immer besser. Baba O’Riley zum Abschluss bringt die Waldbühne noch einmal zum Kochen, ein gelungenes Finale.
The Who 2023 sind mit Orchester anders als früher, aber mindestens genau so gut. Solange man sie noch sehen kann, sollte man hingehen. Es bleibt daher die vage Hoffnung, dass sie noch ein bisschen fit bleiben und der Abstecher nach Berlin vielleicht nicht der einzige gewesen sein mag.
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